PORTFOLIO

Projektdarstellungen auf der Webseite

Jedes von der Gebert Rüf Stiftung geförderte Projekt wird mit einer Webdarstellung zugänglich gemacht, die über die Kerndaten des Projektes informiert. Mit dieser öffentlichen Darstellung publiziert die Stiftung die erzielten Förderresultate und leistet einen Beitrag zur Kommunikation von Wissenschaft in die Gesellschaft.

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Das Virale Digitale Dorf - Services für Bürgerinnen und Bürger

Redaktion

Für den Inhalt der Angaben zeichnet die Projektleitung verantwortlich.

Kooperation

Dieses von der Gebert Rüf Stiftung geförderte Projekt wird von folgenden weiteren Projektpartnern mitgetragen: Ernst Göhner Stiftung; Stadt St. Gallen; Universität St. Gallen, Institut für Wirtschaftsinformatik

Projektdaten

  • Projekt-Nr: GRS-041/14 
  • Förderbeitrag: CHF 327'000.00 
  • Bewilligung: 06.11.2014 
  • Dauer: 01.2015 - 09.2017 
  • Handlungsfeld:  Pilotprojekte, 1998 - 2018

Projektleitung

Projektbeschreibung

Das digitale Dorf schafft Dorfstrukturen mit neuen Formen der Wertschöpfung unter Nutzung der Möglichkeiten moderner Informationstechnologien. Das Projekt will die Werte von Familie und Dorf wie Vertrauen, Versorgungssicherheit und Flexibilität in speziellen Bedarfssituationen in das digitale Zeitalter transportieren. Dazu gilt es, das unüberschaubare Angebot von differenzierten Dienstleistern und Sozialorganisationen, aber auch das Potenzial der Zivilgesellschaft in Form von Freiwilligenarbeit und sozialer Teilhabe nicht nur transparent, sondern so einfach wie möglich nutzbar zu machen. Die intuitiv bedienbare Online-Plattform für das digitale Dorf macht es möglich, Kontakte zwischen Bürgern und Dienstleistern sowie zwischen Bürgern und Bürgern einfacher als via Telefon aufzubauen. Damit schaffen wir eine Infrastruktur, die Dorfgemeinschaften mit den wertvollen realen Hilfs- und Unterstützungsbeziehungen viral entstehen lässt, klassische, physische Nachbarschaft um die virtuelle Nachbarschaft ergänzt und damit die Versorgungssicherheit durch einfachen Zugriff auf Dienstleistungen gewährleistet. Die virale Verbreitung soll die Barrieren von «double-sided markets», insbesondere das Problem der kritischen Masse sowohl auf der Seite der Anbieter als auch der Nachfrager («Henne-Ei-Problem»), überwinden.

Was ist das Besondere an diesem Projekt?

Aus einer klaren Nutzerzentrierung entsteht eine innovative Lösung für die kleinräumige Dienstleistungswertschöpfung und das soziale Miteinander in realen und virtuellen Nachbarschaften.

Stand/Resultate

Das virale digitale Dorf schuf für St. Gallen und Umgebung einen neuen, kostenfreien Zugang zum lokalen Gewerbe, zu verschiedenen Sozialorganisationen und informellen Dienstleistungen in Form eines digitalen Online-Marktplatzes. Ziel war es, die Werte von Familie und Dorf, wie Vertrauen, Versorgungssicherheit und Flexibilität in speziellen Bedarfssituationen, in das digitale Zeitalter zu transportieren und durch einfache, zeit- und ortsunabhängige Kommunikation eine viral wachsende «Dorfgemeinschaft» entstehen zu lassen. Durch eine nutzerfreundliche Organisations- und Anmeldemöglichkeit sollten Bürgerinnen und Bürger bei lokalen Anlässen in St. Gallen zusammengebracht werden.

Als die Plattform im Oktober 2014 gestartet wurde, war die Suche nach Dienstleistern im Internet bereits sehr einfach. Nutzer konnten Suchmaschinen sowie Telefon- und Branchenverzeichnisse, wie beispielsweise local.ch oder search.ch, nutzen, um Anbieter zu finden. Jedoch bieten diese Verzeichnisse keinerlei Unterstützung, wenn es darum geht, einen bestimmten Service tatsächlich zu benutzen. Der Nutzer muss weiterhin zum Telefon greifen, da die meisten Verzeichnisse keine Funktionen zur direkten Verbindung mit den Dienstleistern bieten. Solche Medienbrüche sind einerseits umständlich und führen andererseits zu zeitlichen Einschränkungen, da es bei den meisten Geschäften nicht möglich ist, ausserhalb der Öffnungszeiten Anfragen zu übermitteln. Selbst wenn die Verzeichnisse eine E-Mail-Adresse des Anbieters bereitstellen, ist die Angabe der gewünschten Dienstleistung, des Termins, der persönlichen und anderer Anforderungen aus Nutzersicht sehr aufwendig und insbesondere auf mobilen Geräten wenig benutzerfreundlich. Ausserdem müssen diese Informationen bei jedem neuen Termin wieder vollständig und von vorne mühsam in Textform eingegeben werden.

Im Gegensatz zur fehlenden Terminanfrage-Möglichkeit bei Suchmaschinen und Onlineverzeichnissen gab es auch breits eine Reihe von vertikalen Direktbuchungsplattformen, welche einen praktischen Zugang zu bestimmten Dienstleistungssektoren bieten, wie Treatwell.ch oder Hairlist.ch für Coiffeure und Beautysalons oder Eat.ch und Foodarena.ch für Essenslieferungen. Der Buchungsprozess über diese Plattformen ist sehr bequem, da ein Nutzer die verfügbaren Termine direkt sehen und auswählen kann, genauso wie auch bei anbieterspezifischer Buchungssoftware wie Timendo und Shore. Allerdings umfasst keines dieser Portale die ganze Bandbreite an Dienstleistungen für das tägliche Leben. Für den Konsumenten bedeutet dies, für die unterschiedlichen Dienstleistungen jeweils zwischen verschiedenen Plattformen wechseln zu müssen. Zusätzlich können kleinere Geschäfte dort unter Umständen gar nicht gefunden werden, da die direkte Buchung gewisse Mindestvoraussetzungen an die Digitalisierung des Anbieters stellt, wie die Nutzung eines elektronischen Kalenders.

Was also aus Sicht des Nutzers fehlte, war eine Kombination der beiden oben beschriebenen Lösungen: das digitale Dorf mit dem lokalen Online-Marktplatz Amiona St. Gallen. «Amiona» ist ein Kunstwort, welches sich aus «ami» (französisch für «Freund») und «ona» (in Anlehnung an «one» bzw. «una», englisch/italienisch für «eins») zusammensetzt. Damit sollte die dem Dienstleistungsmarktplatz zugrundeliegende Idee zum Ausdruck gebracht werden, «einen Freund» zu schaffen, der in allen Lebenssituationen unterstützen kann – konkret: eine Stelle, ein digitaler Marktplatz, wo für alle Bedarfe einer spezifischen Lebenssituation die passgenaue Unterstützung in Form einer Dienstleistung gefunden werden kann und Termine einfach sowie orts- und zeitunabhängig angefragt werden können. Das Angebot reicht daher vom Fahrdienst der Sozialorganisationen, über Essens- und Getränkelieferungen vom lokalen Velokurier und von einer St. Galler Bäckerei, bis hin zu Terminen beim Physiotherapeuten, Zahnarzt, der Autogarage oder für die Grössenmessung beim Schneider für massgeschneiderte Hemden sowie einen Wäscherei-Heimservice. Die gesamte Plattform nutzt dabei Responsive Webdesign für eine optimale Darstellung auch auf mobilen Geräten.

Im Verlaufe des Projekts zeigten sich die folgenden Herausforderungen, die auf dem Weg zur Erreichung unseres Ziels, den Alltag der Menschen zu vereinfachen, gelöst werden müssen:
- Schaffung eines offenen Marktplatzes, der es allen Anbietern und Konsumenten erlaubt, teilzunehmen
- Sicherstellung der notwendigen Qualitätsstandards
- Überwindung der durch die wenig fortgeschrittene Digitalisierung kleinerer Anbieter hervorgerufenen Anbindungsprobleme
- Bewirken einer Verhaltensänderung beim Suchen und Bestellen von Dienstleistungen auf Konsumentenseite
- Verbesserung des Nutzererlebnisses bei Konsumenten und Dienstleistern durch schnelle Antwortzeiten
- Sicherstellung effizienter Ende-zu-Ende-Prozesse für Terminbestätigungen

Durch iterative Verbesserung der Software und in Kombination mit einer Reihe von Marketingmassnahmen ist es uns gelungen, über 660 Dienstleistungsangebote auf dem Online-Marktplatz zusammenzuführen und eine linear zunehmende Nutzung unter den Bürgerinnen und Bürgern in St. Gallen hervorzurufen. Die durch eine virale Verbreitung erhoffte exponentielle Zunahme der Nutzerzahlen konnten wir hingegen nicht erreichen.

Das Projekt zeigte, dass ein lokaler Online-Dienstleistungsmarktplatz nicht nur den Alltag von Konsumenten vereinfacht, sondern auch die Arbeit von Intermediären, die bisher manuell Termine für ihre Kundinnen und Kunden koordinierten, unterstützen kann. So nutzen beispielsweise mehreren Einrichtungen der Altenhilfe, wie das Alterswohnheim Neukirch-Egnach oder die Tagesbetreuung des Lindenhof Alters- & Pflegeheims, die Möglichkeit, Fahrten für ihre Kunden nun online mit verschiedenen Fahrdiensten zu koordinieren.

Als ein Beispiel für zusätzliche soziale Veranstaltungen, die dank der einfachen Promotion und Anmeldemöglichkeit über den Online-Marktplatz nun mit wenig Aufwand organisiert werden können, konnte gemeinsam mit St. Galler Quartiervereinen sowie St. Gallen-Bodensee Tourismus eine Serie von neuartigen, ganz persönlichen Rundgänge für den guten Zweck lanciert werden. Die Erlöse von insgesamt über 1500 CHF gingen dabei an das Schlupfhuus sowie die Gassenküche St. Gallen.

Neben dem schrittweisen Ausbau der professionellen und informellen Dienstleistungen wurden auch immer wieder neue technische Verbesserungen in Zusammenarbeit mit einzelnen Fokusgruppen entwickelt, wie beispielsweise eine übersichtlichere Startseite, direkte Terminbuchung oder die SMS-Benachrichtigung. Dadurch wurde die Terminkoordination auf Seiten der Anfrager wie der Anbieter spürbar erleichtert und vor allem die für das Nutzererlebnis entscheidende Antwortzeit deutlich verkürzt. Durch unterschiedliche, gegenüber der direkten Terminbuchung auch weniger automatisierte Prozesse zur Terminvereinbarung konnten wir erreichen, dass ein recht umfassendes Portfolio an sehr unterschiedlichen Dienstleistungen auf dem Marktplatz zugänglich ist und selbst Dienstleister auf diesem Weg erreicht werden können, die bisher im Internet nicht präsent waren.

Ausblick
Die vorzeigbare und «lebendige» Pilotanwendung in St. Gallen hat bereits während der Projektlaufzeit dazu geführt, dass weitere Projekte, u.a. in Weil der Stadt in der Nähe von Stuttgart oder in Hamburg, gestartet werden konnten. Mit zahlreichen Sozialorganisationen und Gemeinden sind wir in Kontakt für weitere Umsetzungen. «Amiona» als Software für Marktplatzlösung ist nach Abschluss des Projekts als konfigurierbare Standardanwendung verfügbar. Da zwischenzeitlich auch globale Spieler der IT-Branche wie Amazon und Facebook die Idee aufgegriffen haben, lokale Dienstleistungen nicht nur zu finden sondern auch zu vermitteln, ist es aus unserer Sicht für zukünftige Umsetzungen entscheidend, sehr spezifische Anwendungsbereiche und Nutzungsszenarien zu fokussieren. Unsere Erfahrungen aus St. Gallen, aber auch in Weil der Stadt und Hamburg, zeigen, dass eine bewusst lokal gehaltene Lösung einen hohen Reiz sowohl auf Anbieter- wie auch Konsumentenseite bietet.

Die Rückmeldungen aus dem Pilotprojekt in St. Gallen führten zu einer umfangreichen Liste an Wünschen für weitere Funktionalitäten, die wir bislang noch nicht alle umsetzen konnten. So wünschten sich etliche Nutzer, Anfragen nach dem First-come-first-served-Prinzip («Wer zuerst kommt, mahlt zuerst») an mehrere Anbieter gleichzeitig verschicken zu können. Unter anderem für das Pflegepersonal in Altersheimen wäre dies äusserst nutzenbringend und zeitsparend, z.B. bei der Organisation von Fahrten für einen Klienten an einem bestimmten Tag. In diesem Szenario würde die Anfrage an alle Fahrdienste, mit denen das Altersheim gewöhnlich zusammenarbeitet, gesendet und der erste, der den Transport annimmt, würde den Auftrag ausführen, während die Anfrage automatisch für alle anderen geschlossen wird. Ähnliche Anforderungen wurden auch von Anwendern an uns gestellt, die sich für den Fall eines dringend benötigten Arzttermins wünschten, eine Anfrage an alle Anbieter in einem bestimmten Umkreis senden zu können.

Um weitere Dienstleister zu erreichen und die Antwortzeiten weiter zu optimieren, prüfen wir die Möglichkeit, Anbieter im Falle einer Terminanfrage über ein automatisches Telefonanrufsystem zu kontaktieren. In naher Zukunft könnte es ausserdem eine interessante Option sein, die Angebote bestehender vertikaler Direktbuchungsportale über entsprechende Schnittstellen in den Marktplatz zu integrieren. Dabei könnte eine solche Erweiterung des Dienstleistungsportfolios und der buchbaren Termine ähnlich ablaufen wie die Entwicklung, die sich bei Plattformen für Hotelreservationen und Flugbuchungen gezeigt hat. Zu guter Letzt haben wir auch die Hoffnung, dass Anfragen in nicht allzu ferner Zukunft über gesprochene Kommunikation übermittelt und mittels Text Mining und künstlicher Intelligenz weiterverarbeitet werden können. Dadurch könnte nicht nur das generelle Nutzererlebnis weiter gesteigert werden, sondern auch der Zugang für körperlich eingeschränkte Personen verbessert werden.

Publikationen

«'Local' is an asset, response time is key: Lessons learned from the Amiona St. Gallen local digital marketplace», erscheint 2017 im Buch «Digital Marketplaces Unleashed» (Springer-Verlag), herausgegeben von Claudia Linnhoff-Popien (LMU München), Ralf Schneider & Michael Zaddach

Medienecho

Berichte zum Rundgang mit der St.Galler Gassenküche aus der Serie "St.Gallen erkunden für einen guten Zweck":
22.04.2016, St. Galler Tagblatt: Die Sucht ist unsichtbar, aber da
27.04.2016, St.Galler Nachrichten: Ein Wunder, dass ich dieses Drecksloch überlebt habe

Zur Zusammenarbeit mit VitaTertia und Nestor Suisse in Gossau (Umgebung St.Gallen), wobei der Servicemarktplatz vom digitalen Dorf Amiona ältere Menschen bei alltäglichen Erledigungen unterstützt:
14.12.2015, Tele Ostschweiz: Altersheim 2.0
15.12.2015, St.Galler Tagblatt: Sensoren helfen Senioren
17.12.2015, Gossauer Nachrichten: Es gibt mir Sicherheit

St.Gallen erkunden für einen guten Zweck, ein Projekt in Zusammenarbeit mit St.Galler Quartiervereinen und dem Tourismusverband St.Gallen-Bodensee-Tourismus:
17.12.2015, St.Galler Tagblatt: Quartiere aus einem anderen Blickwinkel

Ein Hintergrundbericht zum digitalen Dorf Amiona St.Gallen allgemein:
30.09.2015, St.Galler Tagblatt: Ein Alleswisser für St.Gallen

Zum Start des Dienstleistungsmarktplatzes (vor dem eigentlichen Projektbeginn) gab es erste Zeitungs- und Radioberichte:
2.10.2014, 20 Minuten: Die Putzfrau bucht man morgens um 2 Uhr
2.10.2014, Kurzbeitrag inklusive Interview auf toxic.fm

Links

Am Projekt beteiligte Personen

Dr. Philipp Osl, Projektleiter
Prof. Dr. Jan Marco Leimeister
Manuel Eisele
Mark Schleicher
Karolina Staniszewski, Stadt St. Gallen, Amt für Gesellschaftsfragen

Letzte Aktualisierung dieser Projektdarstellung  18.11.2020